Dünserberg, 17.11.2024
Liebe Leserinnen und Leser,
das Leben stellt uns alle vor Herausforderungen, die wir manchmal nur schwer alleine bewältigen können. Ob es sich um plötzliche Schicksalsschläge, schwierige Entscheidungen oder belastende Lebenssituationen handelt – solche Momente können uns emotional aus der Bahn werfen und das Gefühl vermitteln, den Boden unter den Füßen zu verlieren.
In Vorarlberg gibt es bereits viele engagierte Menschen, die psychosoziale Betreuung anbieten. Diese Form der Unterstützung ist eine wertvolle Ergänzung zu psychologischen und therapeutischen Angeboten und kann Menschen in schwierigen Lebensphasen Orientierung und Stabilität geben. Doch leider wissen viele Betroffene nicht, dass psychosoziale Betreuung existiert oder wie sie diese in Anspruch nehmen können.
Die Realität: Lange Wartezeiten und überforderte Strukturen
Die Nachfrage nach psychologischer und therapeutischer Unterstützung steigt seit Jahren stetig an. Psycholog, Therapeut und Institutionen leisten hervorragende Arbeit, stoßen jedoch immer häufiger an ihre Kapazitätsgrenzen. Lange Wartezeiten von bis zu einem halben Jahr auf einen Therapieplatz sind für viele Betroffene keine Ausnahme, sondern die Regel. In der Sendung „Vorarlberg heute“ am 16. November 2024 wurde dieses drängende Problem offen angesprochen.
Für Menschen in akuten Belastungssituationen bedeutet diese Wartezeit oft, dass sie mit ihren Sorgen und Ängsten alleine bleiben. Diese Phase, in der die Belastung am größten ist, kann jedoch entscheidend sein: Ohne Unterstützung kann sich der Zustand verschlechtern, Ängste können zunehmen, und das Gefühl von Hilflosigkeit kann sich verstärken. Genau hier zeigt sich die große Bedeutung der psychosozialen Betreuung.
Was ist psychosoziale Betreuung?
Psychosoziale Betreuung ist keine Therapie und ersetzt keine medizinische oder psychologische Behandlung. Sie bietet jedoch eine wichtige erste Anlaufstelle für Menschen, die in einer Krise Orientierung und Stabilität suchen. Es handelt sich um eine unterstützende Begleitung, die sich darauf konzentriert, Betroffene emotional zu entlasten, ihnen zuzuhören und gemeinsam erste Schritte zu entwickeln, um die Situation zu bewältigen.
Psychosoziale Betreuung kann:
Den Übergang in eine Therapie erleichtern, indem sie die Wartezeit überbrückt.
Menschen in akuten Krisen Stabilität geben und verhindern, dass sie sich allein gelassen fühlen.
Stress reduzieren und innere Ressourcen aktivieren, um die Situation besser zu bewältigen.
Betroffenen ein Gefühl der Sicherheit und des Verstandenwerdens vermitteln.
Diese Unterstützung ist flexibel, individuell und für Menschen jeden Alters zugänglich – ob Kinder, Jugendliche, Erwachsene oder ältere Menschen. Sie ist ein Angebot, das auf Augenhöhe stattfindet und sich den individuellen Bedürfnissen anpasst.
Eine wertvolle Brücke im Versorgungssystem
In Momenten großer Belastung kann psychosoziale Betreuung eine entscheidende Brücke schlagen. Sie schließt die Lücke zwischen der ersten Akutversorgung und dem Beginn einer weiterführenden Therapie. Durch Gespräche, die auf Vertrauen und Mitgefühl basieren, können Betroffene Unterstützung finden, ohne sich allein durch eine schwierige Lebensphase kämpfen zu müssen.
Psychosoziale Betreuung ist keine Konkurrenz zu bestehenden Angeboten, sondern eine sinnvolle Ergänzung. Sie kann den Druck auf psychologische und therapeutische Strukturen verringern, indem sie Menschen in der Zwischenzeit begleitet und stabilisiert. Dadurch profitieren nicht nur die Betroffenen, sondern auch das gesamte Versorgungssystem.
Warum psychosoziale Betreuung mehr Aufmerksamkeit verdient Trotz ihrer wichtigen Rolle wird psychosoziale Betreuung oft nicht ausreichend wahrgenommen. Viele Menschen wissen nicht, dass sie diese Form der Unterstützung in Anspruch nehmen können, und oft fehlt es an einer flächendeckenden Integration in unser Versorgungssystem. Dabei könnte psychosoziale Betreuung dazu beitragen, Menschen schneller zu helfen und langfristige Belastungen zu reduzieren.
In anderen Regionen und Ländern wird die psychosoziale Betreuung bereits gezielt gefördert und als fester Bestandteil des Versorgungssystems etabliert. Vorarlberg hat die Chance, ein Vorreiter zu sein und diese Form der Unterstützung stärker in den Fokus zu rücken. Es geht nicht nur darum, bestehende Strukturen zu entlasten, sondern auch darum, den Menschen zu zeigen, dass sie nicht allein sind – egal, ob sie mit großen oder kleinen Herausforderungen kämpfen.
Ein Aufruf an alle: Gemeinsam für ein besseres Unterstützungssystem
Dieser Brief ist ein Appell an uns alle: an Entscheidungsträger, Institutionen, Fachkräfte und die Gesellschaft als Ganzes. Lassen Sie uns gemeinsam daran arbeiten, psychosoziale Betreuung bekannter zu machen und ihre Bedeutung hervorzuheben. Sie ist nicht nur eine Lösung für akute Probleme, sondern auch eine Investition in die langfristige seelische Gesundheit unserer Gemeinschaft.
Für viele Menschen kann psychosoziale Betreuung der erste Schritt sein, um wieder Klarheit und Stabilität zu finden. Sie ist ein Angebot, das auf Mitgefühl und Menschlichkeit basiert und das Potenzial hat, Leben nachhaltig zu verändern.
Lassen Sie uns gemeinsam sicherstellen, dass niemand in einer schwierigen Lebensphase alleine bleibt – und dass psychosoziale Betreuung die Aufmerksamkeit und Unterstützung erhält, die sie verdient. Denn am Ende geht es nicht nur um Strukturen oder Systeme, sondern um Menschen: um ihr Wohlbefinden, ihre Sicherheit und ihre Hoffnung auf ein besseres Morgen.
Mit herzlichen Grüßen
Kilian Benno Moll„Klare Gedanken, gute Gefühle“
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