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AutorenbildKilian Benno Moll

Die unsichtbare Last des Zuhörens: Wenn wir die Probleme anderer tragen



Für viele Menschen, die in Berufen arbeiten oder in Beziehungen stehen, in denen sie viel zuhören, kann diese Rolle wie eine Selbstverständlichkeit wirken. Man nimmt die Probleme, Sorgen und Nöte anderer auf, bietet Unterstützung und versucht, dem Gegenüber das Gefühl zu geben, gehört und verstanden zu werden. Ob es sich um Friseure, Gastronomen, Coaches oder Berater handelt – oft sind diese Menschen nicht nur für die praktischen oder fachlichen Anliegen ihrer Kunden oder Klienten da, sondern auch für deren emotionale Belastungen. Dabei wird häufig übersehen, wie stark das Zuhören selbst auf den Zuhörer wirken kann und was es mit dem eigenen emotionalen und mentalen Zustand macht.


Zuhören ist eine Geste der Nähe und des Mitgefühls. Es erfordert Offenheit, Empathie und oft auch die Fähigkeit, sich in die Welt des anderen hineinzuversetzen. Besonders in Berufen, in denen man regelmäßig und über längere Zeiträume mit denselben Menschen zu tun hat, entsteht eine Art Vertrautheit, die das Teilen von Sorgen und Gefühlen ganz natürlich macht. Der Kunde oder Klient fühlt sich verstanden, und die Beziehung vertieft sich, weil diese emotionale Ebene die Fachkompetenz übersteigt. Doch genau in diesem Moment, wenn man sich in die Gedankenwelt des anderen begibt, kann eine unbewusste emotionale Verschmelzung stattfinden.


Die Erzählungen von Leid, Stress oder Unsicherheit, die immer wieder auf uns einprasseln, können sich tief in unser eigenes emotionales System eingraben. Auch wenn wir glauben, dass wir lediglich zuhören und keine direkten Ratschläge geben, nimmt unser Inneres diese Informationen auf und verarbeitet sie. Wir tragen plötzlich die Last der Probleme anderer, oft ohne es überhaupt zu merken. Über Tage, Wochen oder Monate hinweg kann sich diese emotionale Last ansammeln, und obwohl wir denken, dass wir stark genug sind, um das alles zu ertragen, beginnen wir irgendwann, uns ausgebrannt oder überfordert zu fühlen.


Das Problem dabei ist, dass wir uns selten bewusst machen, was in uns selbst vorgeht, wenn wir den Problemen anderer zuhören. Es ist eine subtile Form der emotionalen Überforderung, die sich erst nach und nach zeigt. Manchmal fühlt es sich an, als wären unsere eigenen Probleme nicht wichtig genug, weil wir den Vergleich mit den Erlebnissen der anderen machen. „Den anderen geht es schlechter, also sollte ich mich nicht beklagen“, denken wir oft, und genau hier beginnt eine innere Täuschung. Wir fangen an, unsere eigenen Gefühle und Gedanken zu ignorieren, weil wir glauben, dass sie im Vergleich zu dem, was wir hören, nicht so schwerwiegend sind.


Diese Art des Vergleichs, der uns glauben lässt, wir seien stärker oder unsere eigenen Probleme seien weniger bedeutsam, führt dazu, dass wir unsere eigene Selbstfürsorge vernachlässigen. Wir geben uns selbst nicht den Raum, den wir brauchen, um unsere eigenen Emotionen zu erkennen und zu verarbeiten. Stattdessen konzentrieren wir uns voll und ganz auf die Nöte der anderen, was uns schleichend schwächt, auch wenn es im ersten Moment so scheint, als könnten wir damit umgehen.


Ein weiteres Phänomen, das beim Zuhören auftritt, ist die Vermischung von Gefühlen. Je mehr wir uns den Geschichten anderer aussetzen, desto mehr verschwimmen die Grenzen zwischen den Emotionen des anderen und unseren eigenen. Wir hören die Traurigkeit, den Frust oder die Angst des anderen, und plötzlich fühlen wir uns selbst traurig, frustriert oder ängstlich, ohne genau zu wissen, warum. Diese emotionale Vermischung kann dazu führen, dass wir uns aus dem Gleichgewicht fühlen, weil wir nicht mehr klar unterscheiden können, welche Gefühle wirklich unsere eigenen sind und welche wir nur übernommen haben.


Auch Gedanken und Sorgen anderer können sich in unseren Geist einschleichen. Wenn wir immer wieder über die Probleme anderer Menschen nachdenken, anstatt uns mit unseren eigenen Gedanken auseinanderzusetzen, verlieren wir den Bezug zu uns selbst. Das kann dazu führen, dass wir uns verwirrt oder gestresst fühlen, weil wir den Überblick über unsere eigenen Prioritäten verlieren. Je mehr wir uns auf die Geschichten anderer konzentrieren, desto weniger Raum bleibt für unsere eigenen Gedanken und Gefühle.


Um dieser emotionalen Überforderung zu entkommen, ist es wichtig, sich selbst Zeit und Raum zu geben, um die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen. Es ist keine Schande, Hilfe von außen in Anspruch zu nehmen. Supervision, Coaching oder andere Formen der Unterstützung können dabei helfen, den Überblick über die eigenen Emotionen und Gedanken wiederzuerlangen. Diese professionelle Hilfe bietet einen Raum, in dem wir uns selbst reflektieren und erkennen können, wie sehr uns das Zuhören tatsächlich beeinflusst. Supervision hilft uns, eine klare Trennung zwischen den Problemen unserer Klienten oder Freunde und unseren eigenen Gefühlen zu ziehen. Sie gibt uns die Möglichkeit, die emotionalen Lasten, die wir unbewusst aufgenommen haben, abzulegen und uns wieder auf unser eigenes Wohlbefinden zu konzentrieren.


Es ist wichtig, diese Form der Selbstfürsorge ernst zu nehmen, denn nur wenn wir uns selbst genügend Aufmerksamkeit schenken, können wir langfristig für andere da sein. Selbstfürsorge bedeutet, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu respektieren. Es bedeutet auch, sich zu erlauben, Pausen zu machen und sich von den Problemen anderer zu distanzieren, wenn es notwendig ist. Auch wenn wir gerne für andere da sind, sollten wir uns immer wieder bewusst machen, dass unser eigenes Wohlbefinden ebenso wichtig ist wie das der Menschen, denen wir zuhören.


Durch die Inanspruchnahme von professioneller Unterstützung, wie zum Beispiel Supervision, können wir lernen, unsere emotionalen Grenzen zu stärken und uns vor Überforderung zu schützen. Supervision ermöglicht es uns, die Distanz zu wahren, die notwendig ist, um weiterhin effektiv und empathisch zuhören zu können, ohne uns selbst zu verlieren.



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